Oft laufen die Planungen jahrelang und dann plötzlich, ist es soweit: ein neues Leben in einem fremden Land beginnt. Eine mutige Entscheidung, die von vielen Hoffnungen und Wünschen getragen wird und manchmal jedoch auch Herausforderungen bereithält. Hier geben wir einen Überblick über häufige Themen von Auswanderer in unserer psychologischen Online-Beratung. Vielleicht finden auch Sie den ein oder anderen unserer Tipps zum Umgang mit schwierigen Situationen.
So gelingt Ihnen der Umgang mit kulturellen Unterschieden – Tipps vom Experten
Jeder Mensch ist ein Laien-Psychologie. Wir alle beobachten das Verhalten von Menschen und suchen nach Erklärungen dafür. Eine Mitarbeiterin eines deutschen Unternehmens mit Sitz im Ausland klagte neulich, „ich kann mit meinem Kollegen nicht zusammenarbeiten – unsere Kulturen sind einfach zu verschieden“. Vielleicht war ihre Schlussfolgerung richtig, vielleicht auch nur ein Teil der Wahrheit.
Viele Bücher und Seminare beraten zur sogenannten interkulturellen Kompetenz. Hier kann man lernen, wie wir für kulturelle Unterschiede sensibel und aufmerksam werden können. Leider sprechen viele Ratgebern pauschal von „der einen Kultur“ eines Landes. So werden kulturelle Unterschiede womöglich stark übertrieben. Natürlich können sich Menschen in Deutschland von Menschen in Costa Rica unterscheiden, z.B. in der Art, Höflichkeit zu zeigen, wie Feste gefeiert werden oder in der Kindererziehung. Der alleinige Fokus auf die andere Kultur vereinfacht jedoch die Suche nach den Ursachen für Konflikte und Missverständnisse. Die Vielfältigkeit eines jeden Menschen gerät aus dem Blick.
Neben der Kultur haben viele andere Aspekte einen Einfluss auf die Persönlichkeit. Bildung, Interessen, Erziehung, Familienstand, Land- oder Stadtmensch, Alter, – alles Eigenschaften, die helfen das beobachtete Denken und Handeln, zu erklären. Oft teilen Menschen, die zwar in verschiedenen Länder leben, jedoch das gleiche Alter oder die gleichen Interessen haben, sogar mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.
Neben den Eigenschaften und der Kultur kommt die jeweilige Situation hinzu, in der das Verhalten beobachtet wird. Ist der Kollege gerade im Stress oder gelangweilt oder müde.
Fazit: nur, wenn Sie alle drei Anteile betrachten, – die Kultur, die individuelle Persönlichkeit des Gegenübers und die Situation, in die Person steckt – nähern Sie sich der Wahrheit an.
Kulturelle Unterschiede: So verschieden – oder nicht?
Lüften Sie Ihre Schubladen: Versuchen Sie Ihre die natürlich gewachsenen Vorstellungen von den Menschen in Ihrem neuen Land über Bord zu werfen und entdecken Sie diese Welt neu. Stimmen Ihre Vorstellungen und Annahmen? Oder ist es doch alles ganz anders? Mit welcher Frage könnten Sie von Ihren Nachbarn etwas Neues erfahren?
Forschen Sie weiter: Wenn Sie noch nicht lange in Costa Rica sind, kann es hilfreich sein, ganz bewusst eine neugierige Haltung einzunehmen und viel zu beobachten. Wenn Sie ein Verhalten seltsam finden, es Sie ärgert oder sogar Angst macht, dann fragen Sie sich, welche Anteile durch die Persönlichkeit, durch die Kultur oder mit der aktuellen Situation erklärt werden können.
Machen Sie sich kulturelle Unterschiede bewusst: Verhaltensweisen, Werte und Überzeugungen, die für Sie selbstverständlich sind, können in Ihrem neuen Umfeld auf Unverständnis stoßen. Eine interessante Gelegenheit, auch eigene Herangehensweisen einmal zu hinterfragen.
Tipps für den Umgang mit der „fremden Kultur“
Der Anthropologe Kalervo Oberg entwickelte in den 50er Jahren die Theorie, dass Menschen verschiedene Phasen durchleben, wenn sie in ein neues kulturelles Umfeld ziehen. Nach ihm, käme nach einer anfänglichen Euphorie, oft eine Krise, in der Auswanderer mit ihrer Entscheidung hadern und Enttäuschungen erleben. Erst nach einer langsamen Eingewöhnungszeit käme viel später ein Gefühl des „Ankommen“ auf. Der Grund dafür: Mit dem ersten Tag in einem neuen Land entstehen neue Aufgaben. Wir lassen Gewohntes zurück und öffnen uns Neuem. Diese Erfahrungen können interessant und bereichernd sein, bedeuten aber meistens auch Stress und erfordern von uns eine enorme Anpassungsleistung.
Ankommen braucht Zeit
Unsere Tipps für Anpassungsprobleme
Lassen Sie sich Zeit: Wenn die Anfangseuphorie nachlässt oder sogar Zweifel an der Entscheidung auszuwandern aufkommen, setzen Sie sich nicht unter Druck. Wahrscheinlich kommen und gehen belastende Gefühle wieder. Seien Sie geduldig und schauen ganz bewusst, wann und warum sich positivere Gedanken und Gefühle wiedereinstellen.
Wie haben Sie es früher geschafft? Jeder Mensch hat ganz persönliche Strategien, schwierige Situationen zu bewältigen. Wahrscheinlich haben Sie schon früher im Leben kleinere oder größere Krisen erlebt. Diese Frage, wie Sie es früher aus der Krise geschafft haben, kann helfen, sich auf bewährte Bewältigungsstrategien zu besinnen. Was Sie bereits früher erfolgreich angewendet haben, kann Ihnen vielleicht auch jetzt weiterhelfen.
Wenn Selbstzweifel, eine niedergeschlagene Stimmung oder Konflikte über Wochen oder Monate andauern, ist es empfehlenswert, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Häufig können in persönlichen Beratungsgesprächen wieder Lösungen gefunden werden.
Umgang mit Heimweh
Mit der Entscheidung im Ausland zu leben, lassen wir meist Familie, Freunde und lieb gewonnenen Gewohnheiten zurück. Heimweh – diese schmerzliche Sehnsucht nach der Geborgenheit des Gewohnten kann viele Auslöser haben: ein bekanntes Lied, ein Geruch, jemanden in der eigenen Sprache sprechen hören – all dies kann die Erinnerung an zu Hause wachrufen und Heimweh aufkommen lassen. Viele Menschen versuchen dieses unangenehme Gefühl umzugehen, indem sie ständig mit „zu Hause“ telefonieren oder skypen. Aus psychologischer Sicht kann dies das Heimweh jedoch sogar noch verstärken. Man ist im Kopf in der alten Heimat und weniger in der neuen Umgebung. Man knüpft weniger Kontakte und bleibt in der neuen Wahlheimat länger fremd.
Unsere Tipps gegen Heimweh:
Suchen Sie sich Gleichgesinnte: das Gefühl von Einsamkeit spielt beim Heimweh oft eine große Rolle. Nehmen Sie Ihre Interessen zum Anlass und suchen Sie sich Gleichgesinnte. Trotz möglicher Kulturunterschiede sind die Gemeinsamkeiten oft größer als die Unterschiede. So tummeln sich die Computer-Begeisterten untereinander, genauso wie die Hobby-Köche oder Politik-Debattierer. Welche Interessen haben Sie? Was finden Sie vor Ort? Welche Hobbies können Sie ausüben, gibt es Vereine oder werden Ausflüge angeboten? Sicher treffen Sie in Ihrer Umgebung Menschen, die ähnlich ticken wie Sie? So lernen Sie Ihre neue Umgebung kennen und bauen Freundschaften auf.
Finden Sie Ablenkung: Wenn wir Heimweh haben, kreisen die Gedanken um das, was wir zurückgelassen haben. Nachdenken und Grübeln nehmen zu und damit auch die schmerzlichen Gefühle – ein Teufelskreis. In der Folge sind wir niedergeschlagen und können uns wenig auf Anderes konzentrieren. Sie können diese Abwärtsspirale aktiv unterbrechen, indem Sie bewusst angenehme Dinge tun. Dies mag am Anfang schwerfallen, da Sie womöglich gar keine Lust dazu verspüren. Oft fällt es leichter, mit scheinbar kleinen Dingen zu beginnen, die Ihre Stimmung verbessern: treiben Sie gern Sport, haben Sie eine Lieblingsmusik, die Sie sich anhören können? Sie können sich mit Leuten treffen oder einen Spaziergang machen.
Mal ein Gefühl von Heimweh zu bekommen, ist ganz normal und verschwindet nach einiger Zeit ganz von selbst. Wenn es jedoch Wochen oder Monate anhält und einen großen Leidensdruck erzeugt, sollte man unter Umständen professionelle Hilfe durch einen Arzt oder Psychologen aufsuchen. Es kann auch geklärt werden, ob vielleicht eine Depression dahintersteckt. Vielleicht sollte die Frage erneut geklärt werden, in welchem Land man leben möchte.
Über die Autoren
Nora Thiemann und Klemens Lühr sind Diplom-Psychologen und Gründer von Psychologen-Online. Per Videokonferenz bieten sie psychologische Beratung, Coaching und Erziehungsberatung an – für deutschsprachige Menschen, die im Ausland arbeiten und leben. Eigene Erfahrungen im Ausland haben sie in Lebens- und Arbeitsaufenthalten in Mexiko, England und Nicaragua gesammelt.
Mehr Informationen auf www.psychologen-online.com